fundview: ESG-Experte zur Vermarktung nachhaltiger Finanzprodukte: „Die Berater haben Angst vor Fragen“
Svenja Stollenwerk: In Hinblick auf ESG-Anlagen herrsche laut Martin Raab, Gründer des Schweizer Unternehmen Global Green Exchange, noch immer große Unsicherheit – sowohl auf Kunden-, aber vor allem auch auf der Berater-Seite. Er erklärt die Gründe und geht zudem darauf ein, warum rund 20 Prozent der angebotenen ESG-Daten fehlerhaft sind und warum er die Preis-Modelle für ESG-Daten als weltfremd einschätzt.
Laut Martin Raab, Gründer des Schweizer Unternehmens Global Green Exchange (GGX), seien die eigentlichen Gründe, warum eine Anlage nachhaltig ist, sowohl für Kunden als auch dessen Berater, oftmals nicht verständlich. Mithilfe des von ihm entwickelten Tools soll dieser Umstand geändert werden. „Der Berater kann mithilfe unseres Tools, dem GGX Finder, ein Stück weit entspannter in das Beratungsgespräch gehen. Denn wir haben festgestellt, dass ESG-Produkte oft deswegen nicht offensiv vermarktet werden, weil die Berater Angst vor Fragen haben. Oftmals werden daher die Ratings von beispielsweise Kredit-Ratingagenturen wie MSCI verwendet, da diese für den Kunden meistens als vermeintliches Qualitätsmerkmal bekannt sind“, erklärt Raab im Gespräch mit Fundview.
So seien bei den verwendeten GGX ESG-Ratings, welche sich im September vergangenen Jahres noch in der Konzeptionsphase befanden, alle Datenpunkte offengelegt und die Berechnung transparent dargelegt. Raab erläutert: „Anhand einer Skala ist – sowohl für den Berater als auch den Endkunden – klipp und klar ersichtlich, welche E, S und G Werte für jedes Rating wie aufgeschlüsselt werden. Im ESG-Kontext – so ist mittlerweile unsere Erkenntnis – werden dabei vor allem Ratings von Anlagefonds, ETFs und ausgewählte Einzelaktien gewünscht. Die hochgelobten Green und Social Bonds sind bei vermögenden Privatanlegern, aber ehrlicherweise auch bei Vermögensverwaltern, noch überhaupt kein Thema. Sie sind das am wenigsten genutzte Segment, das wir aktuell auf der Plattform haben.“
Zu Beginn der Tätigkeit im Juni 2021 beabsichtigte die GGX noch, ihre Daten extern einzukaufen – von diesem Vorhaben kam sie allerdings schnell wieder ab. „Wir waren in der naiven Annahme, dass die Rohdaten, die wir extern einkaufen, alle korrekt sind. Wir mussten allerdings feststellen, dass bis zu 20 Prozent der Daten falsch oder falsch zugeordnet sind“, sagt Raab und fügt hinzu: „Für das Berichtsjahr 2020 identifizierten wir beispielsweise bei einem großen US-Datenanbieter 142 fehlende Scope-1-Werte. Offenbar hatte deren Algorithmus einige Zeilen nicht mit Daten versorgt – Menschen wäre das mutmaßlich aufgefallen. Beim DAX-Mitglied Symrise hatte ein anderer US-Anbieter kategorisch falsche Zahlen bei den Scope-3-Angaben. Ebenfalls werden bei DAX-Unternehmen die unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder regelmässig falsch gezählt.“ Bei AI-abgefragten Daten sei Raab daher sehr skeptisch: „Wir schauen uns die Unternehmensreportings in persona an, erfassen die Daten und speichern diese. Dafür haben wir vier Personen im Einsatz, die bei der GGX selbst angestellt sind.“ Im kommenden Jahr möchte die GGX in diesem Bereich noch um bis zu 50 Prozent wachsen.
„Preis-Modelle für ESG-Daten sind einfach weltfremd“
Weiterhin nennt Raab einen seiner Hauptkritikpunkte an der EU-Regulatorik rund um SFDR, PAIs und Taxonomie: „Die Preis-Modelle für ESG-Daten sind einfach weltfremd. Deshalb haben wir entschieden, ein eigenes Daten-Center aufzubauen und attraktive ESG-Lösungen zu fairen Preisen anzubieten. Somit sind Asset Manager nicht gezwungen, beispielsweise 450.000 Euro im Jahr mehr aufzuwenden, um ESG-Daten und regulatorisches Datengut rund um Nachhaltigkeit zu beziehen und zu bewirtschaften. Denn am Ende zahlt dies leider der Kunde.“
Der GGX Finder beinhaltet derzeit die Ratings der Large Caps aus Europa und Nordamerika – das heißt alle Unternehmen des DAX, Euro STOXX, FTSE, Dow Jones, NASDAQ 100 und des S&P 100. „Mit knapp 450 Titeln decken wir rund 94 Prozent der Marktkapitalisierung in Europa und Nordamerika ab. Wir planen zudem auch sehr bald Mid Caps aufzunehmen, allenfalls auch ausgewählte Emerging Markets. Diese Erweiterung ist primär Kunden getrieben“, merkt Raab an.
Seit 1. September wendet sich das Angebot auch an professionelle Kunden. „Das bedeutet konkret, dass wir ESG Rating-Daten oder auch ESG Rohdaten und PAI-Lösungen direkt dem Asset Manager, Portfoliomanager oder dem Fonds-Haus zur Verfügung stellen – klassischer Weise über eine Schnittstelle oder per Datei. Zudem bieten wir Portfoliomanagement-Software-Providern unsere gesamte ESG-Datenpalette an, damit sie wiederum ihren Kunden die ESG-Lösungen von der GGX anbieten können“, sagt Raab.
Quelle: https://www.fundview.de/posts/2022/09/2022-09-14-esg-experte-zur-vermarktung-nachhaltiger-finanzprodukte-die-berater-haben-angst-vor-fragen.html