«Greenwashing»: Ausmisten beim grünen Waschgang
Nachhaltigkeit, biologisch und sozial verantwortlich gelten als Attribute, mit denen sich inzwischen viele Unternehmen schmücken. Doch vieles davon ist eher Täuschung, im Fachjargon «Greenwashing» genannt. Wie erkenne ich Greenwashing, welche kontroversen Beispiele gibt es und warum man Kleingedrucktem grosses Interesse beimessen sollte?
Martin Raab und Mauro Baumann
In den Lebensmittelregalen spriessen sie genau so wie in der Unternehmenskommunikation: Grüne Labels und Nachhaltigkeits-Slogans. Meistverwendete Zusatzfarbe seit 2019 für aufgedruckte Labels bei Konsumgütern ist in Europa neben rot für Preisangebote, grün für gesunde Hinweise wie «Bio» oder «Nachhaltiger Anbau». Gestern noch ordinär, heute bereits «nachhaltig». Doch nicht nur der Sektor der Konsumgüterhersteller legt Wert auf Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit, viele andere Branchen sind ebenfalls gross in der Anpassung ihrer Produktions- und Vertriebsprozesse. Doch so gutartig die Motive vieler Unternehmen sein mögen, die Praxis lehrt von etlichen Täuschungsmanövern bis hin zu knallhartem Betrug. Das Stichwort lautet «Greenwashing».
Was ist Greenwashing?
Fast täglich hört man davon – doch wie definiert es sich und was ist das eigentlich? Hier unsere klare Definition: Als Greenwashing bezeichnet man ein Unternehmen oder Organisation, die sich fälschlicherweise als umweltfreundlicher ausgibt, als sie es tatsächlich ist. Die Täuschung beruht dabei auf Aussagen, Berechnungen oder Visualisierungen, mit denen Kunden und Investoren glaubhaft gemacht wird, dass insbesondere Umwelt- (und Sozial)ziele durch das Unternehmen besonders fokussiert oder deutlich priorisiert in den gesamten Herstellungsprozessen des Unternehmens werden.
Diese Art von Täuschung stellt ein grosses Problem dar. Durch die Verfälschung glauben wir, dass wir z.B. mit dem Kauf eines Produkts etwas Gutes für die Umwelt tun oder Positives für Sozialstandards beitragen. Dabei stimmt das vielleicht gar nicht oder sogar Gegenteiliges wird bewirkt. In der Folge kann es passieren, dass wir gutgläubig einen Aufpreis bezahlen, obwohl das Produkt gar nicht besser für die Umwelt oder Menschen ist. Damit wir nicht allzu oft hinters Licht geführt werden, ist es nützlich zu wissen, wie Unternehmungen Greenwashing betreiben.
Wie machen Unternehmen das?
Manchmal kann Greenwashing gänzlich unbewusst passieren. Triviales aber gutes Beispiel aus dem Konsumgüterbereich sind Tiefkühl-Pommes. Diese werden inzwischen auch als «Bio Pommes Frites» mit nachhaltig angebauten Kartoffeln angepriesen. Bio-Bauern lächeln von der Verpackung mit grünen Labels. Als Konsument:in greift man hier direkt in die indirekte Greenwashing-Falle, denn zwischen Ernte, Verarbeitung und Verkauf im Supermarkt werden enorm hohe Energiemengen durch das Trocknen, Frittieren und Tiefkühlen aufgewendet. Von den Lieferwegen der Lastwagen bis zum Supermarkt ganz zu schweigen. Tiefkühlprodukte, so appetitlich und verlockend sie manchmal sein mögen, haben schlicht und ergreifend die schlechteste Ökobilanz in den Supermarktregalen weltweit. Eine klimafreundlichere Alternative im Beispiel der Bio-Pommes wären selbstgemachte Rosmarin-Bio-Kartoffeln mit Olivenöl, die gebacken auch knusprig werden — ohne Tiefkühl-CO2-Exzess und ohne genmanipuliertes Risiko konventioneller Pommes.
Meistens aber benutzen Unternehmungen absichtlich deutlich anspruchsvollere Tricks, um grüner und nachhaltiger zu wirken. Primär geht es darum, die guten Sachen besonders ins Rampenlicht der Unternehmenskommunikation zu stellen und die schlechten Dinge zu heimlichen und gezielt zu verstecken.
Einige Praxis-Beispiele von «Greenwashing»:
1. Das Produktangebot wird einseitig präsentiert
In der Konsumgüterbranche werden primär Bio-Lebensmittel in den Vordergrund gestellt oder im Bereich Mode-/Textilien nachhaltige Kleidungsstücke («Bio-Baumwolle», «Ökotex») besonders in Szene gesetzt. Relevant ist jeweils aber der Anteil am Gesamtsortiment des Herstellers. Von einem Duzend «Bio-Pullover» wird das Angebot einer Marke noch lange nicht nachhaltig. Wesentlich und bisher noch völlig unterentwickelt, ist dabei auch der Sozial- und Lohnstandard bei den Näher:innen der Textilien. Hierzu gibt es nur eine Waffe: Offenlegung, wieviel vor Ort an die Näher:innen effektiv an Lohn ausbezahlt wird und wo wieviel des Sortiments eigentlich produziert wird. Über die wahren Sozialstandards in China oder Bangladesch wurden bereits umfangreiche Berichte verfasst – besser gemacht oder zurückgeholt hat bisher kein Textil-Unternehmen seine Produktion. Sondersituationen, wo jede/r Investor:in sich selbst die Frage der Nachhaltigkeit stellen muss, sind Dinge wie der CO2-intensive Export von Mineralwasser aus Frankreich quer über den Globus oder der Verkauf von Heissgetränken in Pappbechern als zentrales Business-Model. Derartige Konzerne sind wie sie sind und deren Aktien müssen von niemandem, der Nachhaltigkeit ernsthaft in Betracht zieht, gekauft werden.
2. Branche nicht umweltfreundlich, egal wie viel grün gemalt wird
Buchstäblich per Naturgesetz gibt es Industrien, deren Produktionsprozesse und Materialen nun mal nicht umweltfreundlich sind. Dieser Fakt lässt sich nur schwer ändern, ist aber inzwischen häufig Dreh- und Angelpunkt für Greenwashing. So produzieren in Europa und Nordamerika nach wie vor viele Energiekonzerne Strom eben nur zum Teil aus erneuerbaren Energien. (Die nicht gerade smarte Entscheidung der EU in Sachen Gas und Atom mal dahingestellt). Dieser Umstand ist Teil der Realität und als solche anzuerkennen bzw. zu akzeptieren. Problematisch wird es, wenn insbesondere Anlegern glauben gemacht wird, man sei eines der umweltfreundlichsten Energieunternehmen und jedes zweite Wort in der Kommunikation dreht sich um «Renewable», «Wind» und «Solar». Der Grossteil ihres Produktionsmixes basiert jedoch auf fossilen Energieträgern – sprich Erdöl und Erdgas. Hier sind Konsumenten und Investoren aufgerufen den gesunden Menschenverstand einzuschalten.
3. Schlechte Noten beim Recycling
Wichtige Indikation für Greenwashing ist auch das Thema der Wiederverwertbarkeit. Die Recycling-Fähigkeit lässt sich dabei gut je Unternehmen ablesen (auch Teil der GGX ESG Daten). Unternehmen, deren Produktionsprozesse unter tiefer Waste-Recycling-Ratio leiden sollten genau geprüft werden. Einen Schritt radikaler ist der Ansatz, von Unternehmen generell Abstand zu nehmen, deren Produktangebot schlecht wiederverwertbar ist – Plastik, Styropor, textile Mischgewebe oder ähnlich schlecht bis gar nicht recyclebare Elemente. Plumper ist der sogenannte «Junk»-Ratio im Sortiment. Damit beschreibt man Produkte, deren Lebensdauer tendenziell eher kurz und/oder Produktion unter besonders prekären Situationen hergestellt werden. Hart getroffen wäre davon beispielsweise Walmart oder die bereits oben genannte Sektor, insbesondere Fast Fashion vom Kaliber H&M, Inditex, Primark (Associated British Foods) und ähnliche Unternehmen.
Was können wir gemeinsam dagegen tun?
Die Lösung ist überraschend einfach: Genau hinsehen, klein gedrucktem auf Konsumprodukten eher grosses Gewicht beizumessen und ein paar Minuten zur Recherche im Internet nutzen. Ferner, wie unter beschrieben, ist je länger je mehr auch Aktionismus des Einzelnen wichtig. In jedem Fall aber hilft es, sich über die Unternehmen und ihr Sortiment samt Herstellungsprozess im Internet zu informieren. Offenkundig kann auch über aktiv gesteuertes Konsumverhalten ein nicht zu unterschätzender Effekt erzeugt werden. In Sachen Geldanlagen gibt es spezialisierte Formen für die Analyse. Für professionelle Anleger:innen steht beispielsweise das ESG Rohdaten und ESG Rating Angebot der GGX zur Verfügung, um die effektive Performance in klar definierten (quantitativen) ESG-Parametern von Unternehmen zu messen. Alle Informationen zu unserem GGX Rating hier:
Auch als Konsument ist Active Ownership möglich
Zum eben erwähnten Stichwort Aktionismus sollten wir uns alle bewusst werden: Eine sehr effektive Methode zur Abschätzung von Greenwashing ist die bewusste Kommunikation als Konsument:in oder Anleger:in mit dem jeweiligen Unternehmen – egal ob börsennotiert oder nicht. Wem die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und der Zugang zu Informationen fehlen, ist aufgerufen, sich direkt an die Unternehmungen oder deren Mitarbeitende zu wenden und auf seine Fragen zu Produkten, Produktion oder Sozialstandards anzusprechen und weitere Informationen einfordern. So hilft eine gezielte, klar formulierte Email. Schon allein aus der Art und Weise wie (oder auch nicht) das Unternehmen antwortet, kann abgelesen werden, mit welcher Seriosität sich um Anliegen rund um Nachhaltigkeit gekümmert wird. Wenn Sie also das nächste Mal geistige Fragezeichen beim Anblick eines grünen Labels auf einem Konsumprodukt haben, schreiben Sie dem Investor Relations Team oder ESG Kontakt des Herstellers eine Email. Direkter und besser kann «Active Ownership» in Sachen Nachhaltigkeit nicht gelebt werden.
Über den Author
Martin Raab ist langjähriger Investment Professional, Buchautor und Mitglied des Verwaltungsrats der Global Green Xchange. Er steuert den Bereich ESG Ratings & ESG Data. Als Co-CEO eines Family Office analysiert und berichtet er regelmässig zu diversen Themen rund um Kapitalanlagen, Marktstrategie und Nachhaltigkeit.