«Happy Hallowgreen»: Plastiktod im Meer
Wer früh morgens am Strand entlang geht, findet inzwischen nicht nur Muscheln, sondern auch eine gehörige Portion Müll – mal mehr, mal weniger. Ähnlich einem Geisterschiff schwankt die Wahrnehmung von Plastikmüll im Meer. Jetzt sind Taten gefragt, egal ob man in Meeresnähe wohnt oder nicht.
Zum Rauschen der Wellen gehört heutzutage leider auch ein lästiger Standfund: Plastikteile und Plastikflaschen. Egal ob Touristenresort oder abgelegene Bucht, Plastik findet seinen Weg ins Meer und an die Strände. Zunächst als rein asiatisch-pazifisches Problem interpretiert, ist Plastikmüll in den Ozeanen heute jedoch leider, bei genauem Hinsehen, eine globale Realität.
Fünf Müllkontiente im Meer
Bereits vor rund 25 Jahren hat der Ozeanograf und Segler Charles Moore mit seiner Crew zwischen Hawaii und Kalifornien das «Great Pacific Garbage Patch» entdeckt. Die Segelmannschaft sah anstelle von Wasser und Wellen plötzlich nur noch schwimmenden Plastikmüll, soweit das Auge reicht. Inzwischen gibt es weltweit fünf riesige Müllstrudel – zwei im Pazifik, zwei im Atlantik, einen im Indischen Ozean. Die Müllkontinente befinden sich alle in der Nähe des Äquators, weil hier die Meeresströme aus Norden und Süden aufeinandertreffen und den Müll im Meer bündeln. Und dies sind nur die sichtbaren Plastikteile. Der grösste Teil des Mülls sinkt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Grund. 15 Prozent des Mülls schwimmen nach wie vor an der Oberfläche, mehr als 70 Prozent sinken auf den Meeresboden.
Konventionelles Plastik ist ein Zombie
Beim besagten Strandspaziergang nehmen wir weitere 15 Prozent des im Meer schwimmenden Plastikmülls wahr. Dieser wird mit der Flut an den Küsten angespült. Und die Müllmenge im Meer steigt. So viel, als würde jede Minute eine Lastwagenladung Plastik ins Meer gekippt, rechnet die britische Ellen MacArthur Foundation vor. Das ist erschütternd und bedarf sofortiger Massnahmen, denn ist das Plastik erst einmal im Wasser, braucht es Jahrhunderte, um sich zu zersetzen. Der Müllmix im Meer besteht insbesondere aus Plastikflaschen, Verpackungen und anderen Plastikartikeln. Diese schwimmen bzw. lagern viele hundert Jahre im Wasser und sondern dabei Mikroteilchen ab. Diese Teilchen landen in Fischen und so im Magen der Menschen, mit mittelfristig katastrophalem Ausgang für Krankheits- und Sterblichkeitsszenarien. Ursache für die Nicht-Kompostierbarkeit von Plastik ist schlicht die Zusammensetzung: Kunststoff besteht aus Erdöl und Erdgas. In der Produktion werden Chemikalien beigemischt, um eine stabile Verbindung zu erzeugen. Diese Mischung ist nicht von der Natur abbaubar und kann einzig und allein durch professionelles Plastik-Recycling wieder verwertbar gemacht werden.
Müllvermeidung ist Entwicklungsarbeit
Wichtiges Element für die Lösung dieses Problems ist auch die oft fehlende Infrastruktur in vielen Entwicklungsländern, um Müll zu sammeln und fachgerecht zu entsorgen. Über Wind, Flüsse, schlecht angelegte Deponien oder fehlendes Abwassermanagement gelangt letztlich Plastikmüll mitunter in ganzen Strömen ins Meer. Dies ist besonders häufig in asiatischen Ländern der Fall, allen voran China. In diversen Forschungsberichten wird der Jangtse-Fluss als eine der größten Quellen für die weltweite Plastikverschmutzung genannt, da er für mehr als die Hälfte aller Plastikverschmutzungen in den Meeren verantwortlich ist. Neuere Studien haben jedoch ergeben, dass die Philippinen für mehr als ein Drittel der Plastikverschmutzung in den Meeren verantwortlich sind, während der Anteil Chinas auf 7 % geschätzt wird.
China recycelt 17% seines Plastikmülls, die USA 7%
Im Jahr 2020 produzierte die Volksrepublik China rund 60 Millionen Tonnen Plastikmüll. Rund 16 Millionen davon wurden nach Angaben der China National Resources Recycling Association professionell wiederverwertet. Im Durchschnitt werden 17% aller Plastikabfälle in China recycelt. Das ist alles andere als hoch, doch die Recyclingquote in den USA beträgt nach Zahlen der Environmental Protection Agency gerade mal 5-6%. In Deutschland werden 65% des gesamten Abfalls recycelt. In der Schweiz beträgt die gesamte Recyclingquote rund 55%. Rund 20% des Schweizer Mülls sind Plastikabfälle. Laut SwissRecycling verbraucht die Schweiz 125 kg Plastik pro Kopf und Jahr, Tendenz steigend. Alles, was nicht recycelt wird, landet sonst wo, leider auch im Meer.
China recycelt 17% seines Plastikmülls, die USA 7%
Milliardengeschäft Mülltourismus
Zusätzlich kommt das Problem des Mülltourismus hinzu. Wohlhabende Industrienationen exportieren ihren Müll einfach so weit weg es geht. Nach Angaben von EuroStat exportierte die EU im Jahr 2016 etwa 1,4 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle nach China. Im Jahr 2017 war China immer noch der wichtigste Handelspartner für Kunststoffabfälle. Im Jahr 2018 gingen die Ausfuhren von Kunststoffabfällen nach China jedoch auf 50 000 Tonnen und im Jahr 2019 auf 14 000 Tonnen zurück. Dieser Rückgang hat zu einer Verlagerung der Ströme vor allem nach Malaysia (24 % der gesamten EU-Ausfuhren von Kunststoffabfällen im Jahr 2019), in die Türkei (17 %) und nach Indonesien (6 %) geführt. Hoffnungsvoll macht, dass die Gesamtausfuhren zwischen 2016 und 2019 von 2,6 Millionen Tonnen auf 1,5 Millionen Tonnen zurückgingen. Unter den EU-Staaten ist Deutschland (Stand 2021) mit mehr als 720.000 Tonnen der grösste Exporteur von Kunststoffabfällen, gefolgt von den Niederlanden mit 630.000 Tonnen, Belgien (443.000t) und Frankreich (341.000t). Allein in Deutschland werden für die Exporte rund EUR 260 Mio. von Recycling-Unternehmen erlöst. Die Türkei hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Exportziel für EU-Kunststoffabfälle entwickelt. Global sind die USA einer der grössten Plastikmüllexporteure.
UN-Nachhaltigkeitsziele greifen oft noch nicht
Müllvermeidung ist ganz offenkundig zur globalen Herausforderung geworden. Die Vereinten Nationen (UN) haben in ihrer Agenda 2030 mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals oder kurz SDGs) einen globalen Plan zur Förderung der Nachhaltigkeit vereinbart. Seit dem Jahr 2016 arbeiten alle Länder daran, diese gemeinsame Vision in nationale Entwicklungspläne zu überführen. Einer der SGDs (Nr. 14) bezieht sich auf das Thema Meeresschutz. Es lautet konkret: «Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen» und ist in zehn Teilziele gegliedert. Nach anfänglicher Euphorie ist das Thema Meeresschutz allerdings zunehmend im Sand verlaufen. Eines der ursprünglichen Teilziele ist u.a. die signifikante Reduktion der Meeresverschmutzung bis zum Jahr 2025. Bis auf Lippenbekenntnisse wurde hierzu auf politischer Ebene leider nichts erreicht. Es bedarf daher privater Initiativen, um schleunigst die Meeresverschmutzung deutlich einzudämmen und mit der Restauration der Ozeane zu beginnen. Die ersten Schritte liegen näher als man denkt: Beim Plastikrecycling und der Plastikvermeidung.
11 Praxis-Tipps zur Plastikvermeidung
- Wenn Sie unterwegs sind, und Plastik lässt sich nicht vermeiden, nehmen Sie sämtlichen Müll mit nach Hause zum fachgerechten Entsorgen.
- Nutzen Sie Glas- oder Metallflaschen statt Plastikflaschen. Getränke in Plastikflaschen (PET hin oder her) sind spooky, denn die Plastikpartikel können eventuell in ihrem Magen enden.
- Bei Parties oder sonstigen Festen gilt: Tod dem Plastikgeschirr und Plastikbechern!
- Einkaufstaschen ins Auto legen, bei Obst und Gemüse eigene, wiederverwertbare Behälter verwenden.
- Frischhalte Folie ist ein Relikt der 90er Jahre! Eine Frischhaltebox ist bis zu 4000x verwendbar.
- E-Mailen Sie Anbietern, die nach ihrem Geschmack zu viel Umverpackungen aus Plastik um ihre Produkte wickeln – Aktivismus fängt im Kleinen an.
- Konsequent alle Plastikfolien in ein Recyclingsammelbehälter (nicht in den Hausmüll) werfen. Fragen Sie ihren örtlichen Wertstoffhof oder Müllentsorger konkret nach Angeboten.
- Schreiben Sie die Adresse aufs Papier und verwenden keine Mixed-Material Briefumschläge (Plastik-Papier-Verbund)
- Behandeln Sie Folien und Plastikmappen im Büroalltag sorgsam – eine Kartonmappe schützt Dokumente genau so wie ein Plastikumschlag
- Binden Sie keine Plastik-Metall-Papier-Präsentationen mehr zusammen!
- Kaufen Sie keine Nice-to-Have Plastikartikel für den Haushalt oder als Billig-Spielzeug mit kurzer Lebensdauer – am Ende winkt uns alles von der Plastikinsel im Ozean wieder.
Passend zu «Halloween», hier brauchbare Tipps für nahezu plastikfreies «Hallogreen»:
Über den Author
Martin Raab ist langjähriger Investment Professional, Buchautor und Mitglied des Verwaltungsrats der Global Green Xchange. Er steuert den Bereich ESG Ratings & ESG Data. Als Co-CEO eines Family Office analysiert und berichtet er regelmässig zu diversen Themen rund um Kapitalanlagen, Marktstrategie und Nachhaltigkeit.